Abschiedsrede im Kantonsrat

Sehr geehrter Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kantonsrätinnen und Kantonsräte, liebe Regierungskolleginnen, werte Gäste

So schnell hätte ich den Abschied doch nicht erwartet. Zwar habe mich auf jedes mögliche Wahlergebnis vorbereitet, insgeheim aber doch gehofft, dass ich mich nochmals vier Jahre mit Ihnen herumschlagen darf. Auch wenn ich nicht jede Diskussion hier im Saal als Höhepunkt in Erinnerung behalten werde.

Meine erste Kantonsratssitzung war explizit kein Höhepunkt. Es ging um das Integrationsgesetz. Unheilige Allianzen hatten sich schon im Vorfeld gebildet und selbst ein Graf konnte damals nicht gegen das kantonale Parlament regieren. Leider – ich bedaure das noch heute. Ich hätte mir damals etwas mehr Macht gewünscht.

Umso mehr freut es mich, dass Sie meine beiden letzten Gesetzeswerke (MERG, Statistikgesetz) an der heutigen letzten Sitzung dieser Amtsdauer noch abgesegnet haben. Zugegeben – es handelte sich um politisch weit weniger umstrittene Themen.

Aber immerhin, Sie haben mitgeholfen, meine Pendenzen praktisch auf Null abzubauen. So etwas ist mir selbst in meiner kommunalen Politkarriere nie gelungen, nämlich per Ende Amtsdauer über ein «Clean Desk» zu verfügen.

Dabei waren es nicht wenige Geschäfte, die ich hier vertreten durfte und durchaus auch gewichtige – wenn ich an das Einführungsgesetz zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, das Gemeindegesetz oder das heute verabschiedete MERG denke.

Kaum einem Regierungsrat wird es zudem gelungen sein, in seiner ersten und hiermit einzigen Amtsdauer eine PUK-Debatte auszulösen. Und dies erst noch zu einem Geschäft, bei dem nichts passiert ist ausser lautem Mediengeschrei. Hoffentlich hat die Bevölkerung dabei begriffen, dass Strafvollzug nicht kostenlos zu haben ist und sich deshalb präventive Massnahmen (z.B. Erziehung im Elternhaus) lohnen. Zudem ist in der Jugendstrafrechtspflege das Kosten-/Nutzen-Bewusstsein seither mit Sicherheit gestiegen.

Rückblickend bin ich erfreut, was alles in vier Jahren umgesetzt werden konnte. Vieles verlief im Hintergrund, wenig erkennbar für die Bevölkerung. In der Justiz ist bekanntlich vieles nicht öffentlich. So durfte ich beispielsweise die Gefängnisorganisation unseres Kantons neu ausrichten und zwei Drittel der Gefängnisleiterstellen neu besetzen.
Es war für mich eine äusserst spannende und abwechslungsreiche Zeit. Die Vielfalt der Direktion der Justiz und des Innern ist ebenso motivierend wie bereichernd. Mit meinem zusätzlichen Engagement im Justizvollzug als Präsident des Ostschweizerischen Strafvollzugskonkordates und der Schweizerischen Strafvollzugskommission, im Verwaltungsrat der AXPO Holding AG und auch im Bereich E-Government kann ich auf enorm vielseitige, aber auch anspruchsvolle vier Jahre zurückblicken. Ich möchte sie nicht missen.

Natürlich gab es Leute, die mit meiner Politik nicht zufrieden waren. Es ist jedoch nicht meine Aufgabe als Regierungsrat alle zufrieden zu stellen. Ich habe mich immer für das eingesetzt, woran ich persönlich glaubte und was ich als langfristig nutzbringend im Sinne unserer Gesellschaft und unseres Kantons angesehen habe.

Ich verlasse Sie am 18. Mai selbstverständlich mit etwas Wehmut, aber keinesfalls mit Verdruss und ohne jede Bitterkeit. Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt. So erträgt es auch eine Pechsträhne. Ich freue mich auf die Herausforderungen der kommenden Jahre. Ich werde mich völlig neu orientieren müssen. Wo ich landen werde, ist offen.

Ihnen, Ihren Vorsitzenden wie auch dem Parlamentsdienst möchte ich danken für die grosse Unterstützung, die ich während der letzten vier Jahren erfahren durfte. Selbst bei den härtesten politischen Gegnern spürte ich zumindest Akzeptanz.

Ich danke ebenfalls meiner Fraktion und ihrer Präsidentin, Esther Guyer, die mich während guten und schlechten Zeiten immer stützte.

Dank gebührt ebenfalls meinem Regierungskollegium. Wir waren – meine ich – ein homogenes und kompaktes Gremium, was dem Kantonsrat halt eher missbehagte.

Ich wünsche Ihnen allen für Ihre weitere Tätigkeit viel Freude und Erfüllung. Denjenigen, die mit ihrer Abwahl das Schicksal mit mir teilen, wünsche ich die nötige Gelassenheit im Umgang mit diesen Nebeneffekten unserer Demokratie. Es macht wenig Sinn, allzu lang Ursachenanalyse zu betreiben. Täglich erfahren Menschen Schicksalsschläge und müssen ihr Leben neu ausrichten. Dabei sollte die Freude am Leben, die Leichtigkeit des Seins, nicht verloren gehen.

Martin Graf Regierungsrat

11. Mai 2015